Der Goldfisch hat uns eine Sache voraus: Seine Aufmerksamkeitsspanne liegt bei neun Sekunden. Unsere bei acht. Nicht verwunderlich, denn sage und schreibe 15-mal pro Stunde werden wir bei unserer eigentlichen Tätigkeit unterbrochen. Handy. E-Mail. Push, Ping und Ring – und dann steht auch noch die Chef:in in der Türe. So sehr uns die moderne Technik auch unterstützt und uns unsere täglich Arbeit erleichtert – so sehr kann sie auch zum Verhängnis werden.
Denn nach jeder Unterbrechung benötigt das Gehirn einige Zeit, um sich wieder auf die eigentliche Sache zu fokussieren. Die paar Sekunden, mag da einer denken. Doch die fallen ins Gewicht. 58 Mrd. EUR gehen weltweit pro Jahr durch diese paar Sekundenverloren, hat der Think Tank „New Generation Work“ im November 2022 herausgefunden. Auch die Universität Stanford untermauert in einer Studie bereits 2009: Multitasking führt zu Leistungsabfall.
„New Work ist mehr als Homeoffice und Obstkorb“
Und dennoch scheint es en vogue zu sein, möglichst viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. In einer Welt, die immer komplexer und schnelllebiger wird, ist das aber (r)eine Utopie. Das Gehirn kann sich eben nur auf eine Sache so richtig konzentrieren. Das ist (Neuro-) Biologie und dagegen kann dann auch die Wirtschaft nichts machen.
Doch wie können wir die Technik effizient nutzen, um Prozesse zu strukturieren und uns trotzdem wieder ein Stück Selbstverantwortung zurückzuholen? Denn blindes Vertrauen auf die einzelnen Gadgets und Tools macht uns nämlich nicht nur müde, sondern auch zu bequemen Nicht-Denkern – und das kann das Letzte sein, was wir wollen können.
Das Geheimnis lautet: zurück zur Einfachheit. Denn ein Schritt zurück kann manchmal drei voraus bedeuten. Um komplexe Vorhänge zu handeln, braucht es zunächst Struktur und ein Framework, das aktives Selbst-Denken fördert. Ein einmal-alles-wie-immer-bitte-Management wird hier nicht die gewünschten Erfolge erzielen. Probleme können niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind – sagte Albert Einstein und ich finde, da hat er recht.
„Bedürfnisse erkennen und diese individuell adressieren “
Dazu bedarf es Führungskräfte, die neben Fachwissen auch ein gehöriges Maß an Empathie und emotionaler Intelligenz mitbringen. Das Kollektiv zu verstehen, ohne die Bedürfnisse eines jeden einzelnen außer acht zu lassen – das ist die große Kunst.
Es geht weniger um den/die eine:n Manager:in als Dreh- und Angelpunkt als um das Miteinander. Bedürfnisse erkennen und individuell adressieren. Das ist übrigens ein Skill, den uns die Technik (noch) nicht abnehmen kann. Dass eine Arbeitsweise für alle Mitarbeiter:innen gleich gut passt, wird immer unwahrscheinlicher je vielfältiger und heterogener wir werden und erfordert daher mehr denn je sich auf neues Terrain zu wagen.
Das Festhalten an der Präsenzkultur suggeriert eine vermeintliche Kontrolle – oft mit zero Output. Und auch per Video-Telefonie stündlich ins Wohnzimmer linsen, kann nicht die Lösung sein. Das geht besser! Wir müssen Verantwortungsbereiche neu definieren, Eigenverantwortlichkeit fördern und lernen, Aufgaben abzugeben. Das geht! Es erfordert ein Umdenken und stellt das bisherige Modell Chef-Angestellte infrage. Dabei geht es weniger um den (vermeintlichen) Machtverlust als um den Zugewinn an Produktivität. Vielleicht müssten wir einfach das Naming etwas ändern? Potenzialentdecker:in oder Motivationsförder:in oder Erfinder:in eines neuen Arbeitskosmos – vielleicht wäre dieser Führungsstil dann attraktiver?
„Mit Eigenverantwortlichkeit und neuem Namen zum Ziel“
Individualität und Potenziale – das sind Buzzwörter, die es in sich haben. Denn tatsächlich – man(n) mag es kaum glauben – ist jeder Mensch einzigartig und hat individuelle Talente, die es zu fördern gilt. Stärken stärken ist ein Prinzip, das ich sehr unterstütze. Wenn Sie einen Fisch danach beurteilen, wie gut er auf einen Baum klettern kann… Nur, um hier wieder auf den eingangs erwähnten Goldfisch zurückzukommen.
Die Aufgabe des Leadership liegt doch genau darin: Individualität erkennen, Potenziale fördern und Teams klug matchen – je heterogener und diverser, umso besser. Ein Glas voller Goldfische braucht niemand. Das unterscheidet bloßes Management von echtem Leadership.
„Ein Glas voller Goldfische braucht niemand“
Eine Unternehmenskultur etabliert sich immer von innen nach außen und wird an den tatsächlichen Handlungen gemessen – vor allem aber braucht es eine gezielte Kommunikation, auch seitens der Mitarbeitenden. Die junge Generation ist hier kommunikativ schon sehr viel besser aufgestellt und kann ihr Wünsche präziser formulieren, anstatt in beleidigtes Schweigen zu verfallen. Kontrolle durch Selbstverantwortung zu ersetzen ist kein Allheilmittel. Aber: eben zu erkennen, welche(r) Mitarbeiter:in, in welchem Umfeld ihre Leistungen am besten abrufen kann. Der Schlüssel zum Glück liegt in der Erfüllung mit dem was wir täglich tun. So pathetisch das klingen mag – ein bisschen was dran ist da schon. Studien belegen eindrucksvoll, dass intrinsische Motivation die besten Ergebnisse hervorbringt und die daraus resultierende Selbstwirksamkeit die Produktivität positiv beeinflusst.
Tatsächlich geht es um situatives und bedürfnisorientiertes Leadership. Sich New Work auf die Homepage zu schreiben, reicht schon lange nicht mehr. Und Homeoffice ist nicht per se für jede(n) etwas. Es gibt mannigfaltige Abstufungen zwischen konzentrierter Arbeitszeit, Rahmenbedingungen oder kommunikativem Miteinander für kreatives Brainstorming. Viele Wege führen nach Rom. Die Kunst ist, diese Nuancen zu erkennen und gezielt zu adressieren. Matchen und zusammenfügen. Gedanken und Eigeninitiative anregen und Verantwortungen stärken. Das sind die großen Aufgaben für das Management, um auch in Zukunft bestehen zu können. Denn, man mag es kaum glauben, aber ohne Menschen geht dann meistens tatsächlich doch nichts.
Dieser Artikel ist im Rahmen meiner #workinprogress Kolumne zuerst auf SHEconomy Media erschienen.