Gedanken, Worte, Blickwinkel, Perspektiven – einnehmen und verändern. Zwischen den Zeilen lesen und über den Tellerrand schauen. Sich selbst treu bleiben und trotzdem flexibel genug sein, neue Wege zu gehen. Das ist die Botschaft des communique Magazins.
Die Reihe commUNIQUEwomen stellt inspirierende Persönlichkeiten aus verschiedensten Branchen vor. Gibt Einblicke und Impulse, darf zum Nachdenken anregen und soll vor allem inspirieren und uns daran erinnern, dass gerade in unserer Vielfalt die ganze Magie ruht.
„Ich bin ein bisschen stolz auf mich, dass ich mich nicht gescheut habe, diese Chance wahrzunehmen“, Suse Kohler
Suse Kohler ist Künstlerin, Beobachterin und eine Meisterin der konkreten Leichtigkeit. Über die Augen findet sie Zugang zum Seelenzustand der Portraitierten. Sie malt das Eigentliche, nicht das Mögliche. Pur und echt. Unperfekt. Und gerade deshalb so unglaublich beeindruckend. Einnehmend und ergreifend. Nicht umsonst sind die Augen der Spiegel der Seele. Suse schaut hin, nimmt wahr, erkennt und hat einen besonderen Blick für Gesichter im Allgemeinen und für Einzigartigkeit im Speziellen. Für Suse geht es um die Wahrnehmung der kleinen Dinge, das Anderssein und die Schönheit, die genau dadurch entsteht. Sie sagt: Perfektion ist eine Idealvorstellung, die in unserem Geist entsteht und von gesellschaftlichen Normen diktiert wird. Suse wünscht einen direkten Dialog beim Betrachten ihrer Bilder. Wie ihr das gelingt, warum sie früher immer nachts gemalt hat, ein Klassenkamerad einmal ihr Bild von Honecker zerriss und warum heute der erste Tag vom Rest ihres Lebens ist, verrät sie im Interview für das communique Magazin .
Mit Julia Heinz spricht sie über Mut, den berühmten roten Faden und den Blick auf das Unbegreifliche zwischen erstrebtem Perfektionismus und Einheitsbrei – und warum sie Traditionen als Indikator für Individualität sieht. Ob in Mexico oder Bayern.
Liebe Suse, manche Menschen haben von Geburt an eine Art „kreatives Gen“, eine künstlerische Begabung, die irgendwann ihren Weg an die Oberfläche bzw. die Leinwand findet. Wie war das bei dir? Hast du als Kind schon viel gemalt?
Ohja, ich habe schon als Kind gerne gemalt, gebastelt oder irgendetwas gebaut und zu Schulzeiten meine halbe Klasse mit Bildern versorgt. Einmal habe ich für meinen Klassenkameraden Mischa ein Bild gemalt – der Bruderkuss mit Breschenew und Honeker. Immerhin schon ein Portrait. Unser Kunstlehrer hat es bei einem Kunstwettbewerb eingereicht und es hat den ersten Platz gewonnen. Mischa sollte seinen Preis persönlich entgegennehmen und bekam so Angst, dass er das Bild zerriss, weil er dachte er müsste auf der Bühne etwas vormalen. Darüber können wir uns heute noch sehr amüsieren.
Und dann natürlich später auch mit meinen eigenen vier Kindern. Des Öfteren sind dabei auch kleine Spielfilme entstanden. Die heute zu sehen ist ein riesen Spaß!
Dein beruflicher Werdegang begann mit einem Marketing- und Kommunikationsstudium – du hast in Agenturen und Filmproduktionen gearbeitet, einer auch eher von kreativen Schaffensprozessen geprägten Branche. Inwiefern hat das deine künstlerische Arbeit heute geprägt und wie wichtig war diese Evolution für dich persönlich?
Das war sehr wichtig, denn ich habe gelernt Bilder so umzusetzen, dass sie eine Geschichte erzählen. Und das mache ich heute ja genauso. Mir ist es immer sehr wichtig eine Serie zu erarbeiten, durch die sich ein Faden zieht und am Ende einen Sinn ergibt, eine Geschichte erzählt. Dann ist es für mich irgendwie komplett.
Du hast dich 2014 entschlossen, die Malerei von Grund auf zu lernen, warst Privatschülerin von Werner Meier und hast an der renommierten Akademie der Bildenden Künste in Kolbermoor die Meisterklasse von Markus Lüpertz besucht – empfindest du es rückblickend als mutig einfach nochmals was ganz Neues zu beginnen? Oder war das viel mehr eine logische Konsequenz, die einem innerem Antrieb folgte?
So gesehen ist es von Beidem etwas. Mutig, weil es für mich nach den Kindern ein riesen Schritt war etwas zu finden, was mich erfüllt. Und auch eine logische Konsequenz, da ich mich ja immer für Kunst interessiert habe. Es musste etwas Kreatives sein. Dass sich das alles so ergeben hat, ist ein riesen Geschenk für das ich unendlich dankbar bin. Und zugleich bin ich auch ein bisschen stolz auf mich, dass ich mich nicht gescheut habe diese Chance wahrzunehmen. Manchmal muss man seinem Herzen folgen und es einfach machen.
„Der Blick auf das Unbegreifliche ist eine Ausdrucksform, um sich emotional wahrzunehmen – ich muss das Wesen erkennen“
Die Augen sind der Spiegel der Seele, sagt man. Du beginnst jedes deiner großformatigen Portraits mit den Augen. Was fasziniert dich an den Augen und legen sie tatsächlich den Blick auf die Seele frei?
Die Augen verraten uns so vieles. Nicht nur, dass ich es schön und wichtig empfinde, wenn man sich beispielsweise beim Begrüßen oder einer Unterhaltung in die Augen schaut. Das können gar nicht alle Menschen. Augen offenbaren eine Gemütslage, Stimmungen, einen Seelenzustand, das innere Wesen. Und das ist es, was ich bei einem Portrait herausarbeiten möchte. Ich muss das Wesen des Porträtierten erkennen. Nur dann erkennt der Betrachter den Portraitierten. Das ist mein Ansinnen.
„Ich wünsche mir einen Dialog beim Betrachten meiner Bilder“
Kunst ist, was man nicht begreift, sagt Markus Lüpertz. In einem Interview habe ich gelesen, dass du am liebsten nachts malst. Verbirgt sich in der Stille der Nacht der Blick für das Unbegreifliche?
Nachts zu malen, war für mich der Inbegriff von Ruhe nach einem stressigem Schulalltag. Wie heisst es so schön – me time. Der Tag geht zu Ende, die Stille und innere Ruhe kehrt ein.
Der Blick auf das Unbegreifliche, was Markus Lüpertz uns immer wieder gelehrt hat, kann eigentlich überall passieren. Es ist eine Ausdrucksform, um sich emotional wahrzunehmen und der Kreativität freien Lauf zu lassen. Nichts zu erklären, sich reflektieren und Veränderung zuzulassen. Jetzt sind die Kinder übrigens aus dem Haus und ich kann auch den Tag für meine Arbeit nutzen, doch wenn ich in einem Prozess bin kann es spät werden. Ich vergesse die Zeit.
Deine Portraits berühmter Persönlichkeiten wie Frida Kahlo, Konrad Adenauer oder Louise Bourgeois schaffen genau diesen intimen, nahbaren ja fast verletzlichen Blick auf die Protagonisten – als würde man in einen direkten Dialog treten, bei der jede noch so feine Linie um die Augen eine ganz persönliche Geschichte erzählt.
Der direkte Dialog beim Betrachten meiner Bilder, ist was ich mir wünsche. Ich möchte es als Aufforderung zu verstehen geben, sich für einen kurzen Moment mit seinem Gegenüber auseinanderzusetzen. Wenn mir dieser Dialog gelingt, habe ich das innere Wesen richtig interpretiert. Zumeist haben die Bilder wie zum Beispiel die Kanzlerserie immer das gleiche Format. Gehängt auf Augenhöhe, keiner schaut rauf oder herab, so ist jede Frage, Meinung, Gedanke möglich. Dadurch entstanden schon so interessante Gespräche.
Authentizität und vor allem Individualität werden in der heutigen Zeit auf eine harte Probe gestellt. Alle wollen perfekt sein und alle wollen gleich perfekt sein. In deiner Serie „sun kissed“ spielst du mit dem Gedanken, dass Nichtperfektion vielleicht gerade die Perfektion ist, nach der wir alle Streben. Wie siehst du das?
Perfektion ist eine Idealvorstellung , die in unserem Geist entsteht und von gesellschaftlichen Normen diktiert wird. Durch den Leistungsdruck ensteht Stress, Angst, psychische Schäden, Verlust des Selbstwertgefühls. Dieser erstrebte Perfektionismus kommt einer Gleichmachung gleich, alles wird ein Einheitsbrei – zumeist begleitet von Neid und Missgunst…
Der Blick auf die besonderen, einzigartigen Dinge geht verloren. Die Geschichten von Menschen, die eben nicht auffallen oder besonders auffallen aufgrund eines Anderssein und dennoch „ihre“ Geschichte, ihre Besonderheiten, ihre Herzensangelegenheiten von ganz einfachen kleinen Dingen erzählen. Das meine ich mit der Perfektion in der Nichtperfektion oder auch andersrum: in der Nichtperfektion liegt die Perfektion.
Für mich persönlich gilt es meine Wahrnehmung für das Andere zu erkennen. Durch diese Individualität entsteht eine andere Schönheit. Eine Menschlichkeit, die mich beeindruckt.
„Traditionen und Brauchtümer sind Indikatoren für die Individualität eines Ortes“
Für deine neuste Serie nutzt du Stoffe, die du auf Leinwand spannst u.a. auch Drindlstoffe und sie danach bemalst. Es gibt auch „bayerische Fridas“ in Anlehnung an Frida Kahlo. Du kombinierst verschiedene Strukturen, Formen und Farben sinnbildlich für unterschiedliche Kulturen. Wie wichtig sind Traditionen und welche Rolle spielt Heimat für dich?
Heimat und seine damit verbundenen Traditionen gehören für mich eng zusammen, sind so wichtig und soo schön und nicht wegzudenken. Jedes Land hat seine Traditionen und Brauchtümer – und das muss gepflegt werden, denn schließlich sind sie ein Indikator für die Individualität eines jeden Ortes. Brauchtum, Kultur, Werte sind für ein friedliches Zusammenleben wichtig.
Meine bayrischen Fridas sind eine Herzensangelegenheit. Nicht nur weil sie mich an eine wunderschöne Reise durch Mexico erinnern, sondern auch an die Gemeinsamkeit zweier völlig unterschiedlicher Kulturen. In beiden Ländern wird Tracht mit Stolz und Lebensfreude getragen. Ich zeige Frauen in Öl und viel Farbe auf Dirndlstoffen oder mexikanischem Tuch, ein wunderbarer Twist.
Zwei kurze Fragen zum Schluss: Was hättest du gerne schon vor 10 Jahren gewusst?
Vor 10 Jahren hätte ich gerne gewusst, dass heute der erste Tag vom Rest meines Lebens ist.
Welche Person findest du absolut einzigartig und warum?
Meine Mutter. Meine Mutter hat uns Kinder mit all Ihrer Kraft durch das Leben getragen, Mut zugesprochen, gefördert, gelacht – obwohl ihr manchmal zum Weinen war. Niemals aufzugeben, Familie zu leben, Menschen mit Respekt zu begegnen und Menschenwürde zu ehren.
Liebe Suse, herzlichen Dank für das schöne Gespräch.
Vernissage Starke Frauen | Brighter ART Gallery
12.Juni.2024